Veröffentlichung in der Hessischen Lehrerzeitung (HLZ), GEW, Juni 1998

Aufgaben und Chancen eines elektronischen Bürgernetzes

Claudia Bremer

Vorstand netpool e.V. und

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt/Main

 

Was ist eigentlich ein Bürgernetz, was kann es leisten und macht es überhaupt noch Sinn, ein solches Netz einzurichten, wenn in einer digitalen Welt die lokalen geographischen Grenzen immer weniger Bedeutung erhalten und alle, die zum Netz Zugang haben, sich im globalen, grenzenlosen Dorf treffen können? Dies und andere Fragen sind die grundlegenden Themen dieses Beitrags, der einerseits Licht ins Dunkel dieser digitalen Begriffe bringen soll und andrerseits die Aufgaben und Merkmale eines erfolgreichen Bürgernetzes herausstellen möchte.

Ein Bürgernetz - was ist das?

"Das Ziel des Bürgernetzes ist die Nutzbarmachung von elektronischer Kommunikation und elektronisch gespeicherter Information für jeden. Der Ausdruck "für jeden" ist dabei so zu verstehen, daß jedermann in allen Rollen, die er in der Gesellschaft inne hat, durch das Bürgernetz unterstützt wird", so steht es in den Zielen des Dachverbandes des Bürgernetze e.V. in Bayern [1]. Die Ziele eines Bürgernetzes divergieren in der Praxis allerdings von Bereitstellung eines Internetzugang für alle Bürger und Bürgerinnen bis hin zu Schaffung partizipativer Netzstrukturen zur Sicherstellung demokratischer Beteiligung auch im Netz. Letzeres zielt auf die Vermeidung von Informationsmonopolen ab: Informationen sollen nicht nur von einigen wenigen verbreitet werden, sondern von vielen bereitgestellt, kommentiert und diskutiert werden, um das Abbild der realen Demokratie auch im Netz zu ermöglichen. "Es geht darum, daß eine demokratische Gesellschaft sich austauscht, daß die verschiedenen Gruppen und Einzelne kommunikativ repräsentiert werden, daß ein vielfältigen und offenes Zeitgespräch in der Gesellschaft möglich wird" so Peter Glotz als Leiter des Gesprächkreises "Politik und Medien" der Friedrich Ebert Stiftung zu dessen Einführung 1997. [2] Um den Begriff "elektronisches Bürgernetz", der sich in Praxis und Literatur so uneinheitlich wiederfindet, besser einzugrenzen, ist es hilfreich zu untersuchen, welche Komponenten bestehende Bürgernetze beinhalten und welche Funktionen sie erfüllen. Während das Internet "fast" grenzenlos ist, beschränkt sich ein Bürgernetz in seinen Zielen und Tätigkeiten auf einen geographischen Raum oder besser auf eine Zielgruppe, die durch diesen Raum definiert wird: auf die Bürger und Bürgerinnen einer Gemeinde, einer Stadt oder einer Region. Darin findet sich meist neben der elektronischen Informationsversorgung auch die Komponenten des technischen Zugangs und einer Kommunikationsplattform wieder.

Informationsfunktion

 

Ziel ist daher zum einen die Bereitstellung von sogenannten "Bürgerinformationen" [3], das sind Informationen, die sich aus dem Bürgerstatus ergeben wie z.B. über Rechte und Pflichten, über städtische Institutionen wie Ämter und Behörden und demokratische Informationen zur Aufklärung der Bürger und Bürgerinnen bezüglich Handlungen der öffentlichen Hand wie bspw. über laufende Planungsverfahren, städtische Beschlüsse usw.. Daneben können je nach Partizipation von entsprechenden Gruppierungen Informationen bereitgestellt werden, die sich an bestimmte Interessengruppen wenden und z.B. über Hobbys, Krankheiten, besondere Problemstellungen oder andere individuelle Anliegen informieren. Gerade hier soll im Rahmen eines Bürgernetzes durch kostengünstigen Zugang zum Netz und Unterstützung bei der Bereitstellung ihres Onlineangebotes eine intensivere Beteiligung von Vereinen und Initiativen ermöglicht werden [4]. Ein Bürgernetz wird damit zu einer Plattform, in dem Informationen von BürgerInnen an BürgerInnen bereitstellt werden und das ergänzend neben einem städtischen und einem kommerziellen Angebot steht (s. Abb oben.).

 

Allerdings sei vor der Informationsflut warnt; auch Rena Tanges prophezeit: "Natürlich wird die Menge der verfügbaren Nachrichten stark anwachsen. Deshalb wird eine der wichtigsten Kulturtechniken zukünftig Kompetenz in der Auswahl von Information sein. Den Bürgern kommt so eine neue Mündigkeit in der Informationsauswahl zu"[5]. Demnach muß ein Ziel eines Bürgernetzes neben der Informationsbereitstellung auch dessen Strukturierung in einer Art und Weise sein, die das Auffinden der gewünschten Quellen vereinfacht. Zusätzlich sollten durch Schulungen, Einführungsabende, Internettage das Interesse geweckt und die notwendigen Kompetenzen für den Umgang mit den neuen Medien vermittelt werden.

 

Technik allein genügt nicht

Neben der Informationsfunktion eines Bürgernetzes findet sich auch die Komponente der technischen Plattform: diese muß durch die Stadt, das Land, einen Trägerverein oder einen kommerziellen Anbieter bereitgestellt werden. Der Begriff "technische Plattform" bezieht sich hier zum einen auf Rechnerkapazitäten zur Bereitstellung der Bürgerinformationen sowie einer Kommunikationsplattform und zum anderen auch auf öffentliche und private Einwahlmöglichkeiten ins Internet. Einige Bürgernetzvereine wie z.B. büne e.V. in Münster haben sich den Betrieb der Internetrechner und die Bereitstellung von Einwahlknoten selbst zur Aufgabe gemacht [6]. Andere wie z.B. Bürgernetze, die im Rahmen der Landesinitiative "Bayern Online" entstanden, profitieren von der landesweit bereitgestellten technischen Basis und stellen ihren Mitgliedern kostenlose Internetzugänge zur Verfügung. So z.B. schreibt das Bürgernetz Aschaffenburg: "Da diese Datenautobahn an mehreren Stellen Übergänge ins weltweite Internet hat und mit dem gleichen Protokoll (TCP/IP) arbeitet, kann man von einem kostenlosen echten und uneingeschränkten Internetzugang für Privatpersonen sprechen. Der Begriff Bürgernetz bezeichnet also die regionale Einwahltechnik und die vom Bürger selbst erstellte Internetstruktur vor Ort und im landesweiten Verbund"[7]. Bürgernetze, welche in Bundesländern mit geringerem öffentlichen Engagement seitens der Stadt oder des Landes überleben wollen, werden mit kommerziellen Anbietern kooperieren und deren Internetzugänge anbieten müssen. Hier ist jedoch durchaus im öffentlichen Interesse das verstärkte Drängen auf kostengünstige privaten Nutzungsmöglichkeiten zu vertreten. Allerdings: das kostenlose Surfen ist nicht eine notwendige Bedingung für die Einrichtung und den Betrieb eines Bürgernetzes. Schließlich ist die Nutzung anderer Informations- und Kommunikationsmedien wie Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften ebenfalls mit Kosten für die NutzerInnen verbunden. Doch die Bereitstellung kostenloser oder kostengünstiger Einwahlknoten ist nur eine Seite der technischen Komponente eines Bürgernetzes: daneben soll die Ausgestaltung des Zugangs auch möglichst einfach zu bedienen sein. Was bedeutet hierbei ein möglichst einfacher Zugang? Auf der technischen Ebene soll sichergestellt werden, daß möglichst viele Personen, welche ein Interesse an der Nutzung des Internet haben, auch einen Zugang erhalten. Das bedeutet einerseits die Unterstützung bei der technischen Realisierung des privaten Internetzugangs und auch die Bereitstellung öffentlicher Terminals an leicht zugänglichen Orten wie Bibliotheken, Einkaufszentren, Post usw.. Dabei muß ein Bürgernetzverein diese Terminals meist nicht selbst betreiben, sondern kann sich als Lobbyist verstehen, der eine solche Medienverbreitung politisch verfolgt und durch entsprechende Förderanträge und Kooperationen vorantreibt [8].

Doch Zugang alleine genügt nicht. Erst mit dem Abbau häufig vorhandener Hemmschwellen und der Vermittlung der notwendigen Medienkompetenz für den Umgang mit den Internetdiensten kann eine breite Partizipation sichergestellt werden.

 

Kommunikation: alle diskutieren mit allen?

Aus einer 1-n Informationsversorgung wie in Zeitungen und durch das Fernsehen kann eine n-n Kommunikationsstruktur erwachsen, in der viele mit vielen diskutieren. Dank der Kommunikationsdienste des Internet könne eine "Diskussionskultur - durch die bisherigen eingleisigen Medien zum Verkümmern gebracht - wiederbelebt werden" [9] In Bürgernetzen sollen die Belange der BürgerInnen einer Stadt diskutiert werden: städtische Planungen, Wahlen, Bürgeranliegen und andere politische Themen wie auch private Interessen. Selbsthilfegruppen, Vereine und Initiativen können das Netz als Plattform zur Organisation ihrer MitgliederInnen nutzen und zwischen persönlichen Kontakten dezentrale virtuellen Treffen in Newsgroups und Chats stattfinden lassen. Eine Chance einer solchen Diskussionsplattform sieht padeluun, Gründungsmitglied des Vereins FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs): "Da jeder gleichberechtigt mitreden kann, diskutiert auch der Punk mit dem Schlipsträger, also Leute, die im realen Leben nie zusammen kommunizieren würden" und wenn es zum Streit kommt: "Einen elektronischen Gummiknüppel hat man bislang noch nicht erfunden." [10]. Die Vernetzung von Informationslieferanten mit den Empfängern geschieht auf der Ebene der Kommunikationsplattform. Laut Rena Tangens, ebenfalls in FoeBuD tätig und Aktivistin in Sachen Mailbox, kann jeder "..Rückfragen an die Informanten stellen und Kommentare dazu schreiben", womit "Bericht und Leserkommentare gleichberechtigt nebeneinander stünden, auch einander widersprechende Artikel. Das wäre in einer Zeitung undenkbar" [11].

 

Träger und Betreiber eines Bürgernetzes

Bürgernetze existieren nicht nur in einer elektronischen, virtuellen Form, sondern haben durchaus ihren reellen Widerpart: in Form eines Trägervereins, einer städtischen Einrichtung oder einer Bürgerinitiative finden sich hier Einzelpersonen und Organisationen zusammen, die bereit sind, ein solches Netz zu betreiben. Keinesfalls sollte hier der Umgang mit kommerziellen Anbietern gescheut werden: in der Kooperationsform eines sogenannten "public-private Partnership" mit der Beteiligung städtischer Ämter, privater Firmen und nicht-kommerzieller Organisationen und Vereine können knappe Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden, Schulungsräume günstig gemietet, TrainerInnen ausgebildet, Sponsoren gewonnen und dabei gleichzeitig kommerzielle Interessen durch zusätzliche Netznutzende befriedigt werden. Ideal ist die Einrichtung eines Bürgernetzbüros, das als Anlaufstelle für Einzelpersonen und Vereine dient. Kommerzielle Interessenten können hier an kommerzielle Anbieter weiterverwiesen werden, um der Kooperation auch an dieser Stelle dienlich zu sein.

 

Potentielle Probleme eines Bürgernetzes und ihre Lösungen

Allerdings: wer sich heute mit der Einrichtung eines Bürgernetzes beschäftigt, kommt nicht an dem Scheitern der Internationalen Stadt (IS) Berlin vorbei, die einst Vorzeigeprojekt der deutschen Netzszene war und auf allen betreffenden Konferenzen vorgestellt und diskutiert wurde [12]. Analysiert man den Grund für die Anfang Dezember 1997 beschlossene Selbstauflösung der IS Berlin, so sollte man zu den Einschätzungen ihrer ehemaligen Betreiber greifen: "Die IS hat nur solange funktioniert, wie wir unsere Energie hineingesteckt haben", so ihr Geschäftsführer Max Bareis [13]. Was bedeutet das für den erfolgreichen Betrieb eines Bürgernetzes? Daß es nur dann langfristig funktionieren wird, wenn es von Anfang an auf eine breite lokale Basis gestellt wird und in einer partizipativen, offenen Struktur betrieben wird. Und das kostet Zeit!

 

Zum Abschluß daher ein Rat: die Trägerschaft eines Bürgernetzes sollte auf möglichst breiter Basis angelegt sein, um von Anfang an vielfältige Interessen zu berücksichtigen und den Betrieb des Netzes nicht einigen wenigen ehrenamtlichen Händen zu überlassen. In Kooperation mit der Stadt, kommerziellen Anbietern und Vereinen sowie engagierten Einzelpersonen sollte ausgehandelt werden, wer welche Aufgaben eines solchen Netzes übernimmt und welche Organisationsform eine möglichste breite Beteiligung fördert ohne dabei Handlungsunfähigkeit hervorzurufen. Das kann z.B. durch einen kleinen Trägerverein geschehen, der die Initiative vorantreibt und das Bürgernetz am Leben erhält. Mit einem Rahmenprogramm, welches das digitale Angebot durch Schulungen, Informationsveranstaltungen und öffentliche Terminals verbreitet und zugänglich macht, sollte dem erfolgreichen Betrieb eines Bürgernetzes als Informations- und Kommunikationsplattform nichts mehr im Wege stehen!

 

Literaturquellen:

[1] Ziele des Dachverbandes der Fördervereine für Bürgernetze e.V. unter: http://www.buerger.net/bkonzept.html. Die Hauptseite des Dachverbandes ist zu finden unter: http://www.buerger.net/. Dort sind auch weitere Links zu den im Verband beteiligten Bürgernetzen aufgelistet.

[2] Glotz, Peter: "Neue Medien und ihre gesellschaftspolitische Relevanz", in: FES info, Mai - Juli 1997, S. 19

[3] Falkenstein, F./Schwabe, G./Krcmar, H.: "Bürgerinformationen im Internet: Anspruch , Realität und Potential"

[4] Bremer, Claudia: "Vorschlag für ein Frankfurter Forum Bürgernetz" und "Vorschlag zur Umsetzung des Forums Frankfurter Bürgernetz" unter http://www.netpool.org/buerger1.htm und http://www.netpool.org/buerger2.htm

[5] Laut Rena Tangens in: Hauptmeier, Stefan: "Strukturwandel der Kommunikation / MailBoxen in freien Bürgernetzen, Computer und Demokratie" unter: http://www.zerberus.de/texte/presse/artikel/nwtext.html

[6] Informationen über büne e.V. : Die büne-Homepage, unter: http://www.buene.org/

[7] Bürgernetz Aschaffenburg-Miltenberg

[8] siehe bei büne e.V. Münster: büne Informationen unter: http://www.buene.org/

[9] Zitat nach Rena Tangens in: Hauptmeier, S.: Strukturwandel ... a.a.O.

[10] Zitat nach padeluun in: Hauptmeier, S.: ebenda

[11] Zitat nach Rena Tangens in: Hauptmeier, S.: ebenda

[12] Baumgärtel, Tilman: "Netmalls statt digitalen Städten" in: Telepolis, 18.12.97, unter: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1359/1.html

[13] Zitat nach Max Bareis in: Baumgärtel, Tilman: Netmalls statt ..., ebenda.